Historische Entwicklung in Frankreich

Historische Entwicklung der Regelungen zum Schutz und zur Betreuung von ungewollten Kindern in Frankreich
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Dr. Catherine Bonnet
Kinderpsychiaterin, Psychoanalytikerin
Paris, e-mail: bonnec7@hotmail.com
Siehe auch „Les enfants du secret“, Editions Odile Jacob, Paris, 1992

Die Obsorge von ausgesetzten Kindern

4.-Jahrhundert: Am Eingang von Kirchen stehen Behälter und Schalen, wo Kinder abgegeben werden können.

787: In Mailand wird das System der Kinderhäuser eingeführt. Diese etablierten sich in der Folge in Frankreich, wo sie « tour » genannt wurden

1546: König Heinrich II erläßt ein Gesetz, welches das Aussetzen von Kindern verbietet.
1556 verfügte er, daß jede Frau ihre Geburt unter Androhung der Todesstrafe melden muß.

1638 Saint Vincent de Paul bemüht sich um die Obsorge von ausgesetzten Kindern. Sein Lebenswerk wird sogar durch ein Königliches Dekret von 1670 anerkannt. In der Folge wird die Obsorge von ausgesetzten Kindern wieder dem Hôpital Général zugewiesen, welches umbenannt wird in „Krankenhaus der gefundenen Kinder“

19 Januar 1811 : Napoleon regelt mittels eines Dekrets die Kinderhäuser, sog. Tours. Die Anonymität wird dabei gewahrt und die Zahl der abgegebenen Kinder steigt beträchtlich an. Es gibt einen gewissen Missbrauch und Napoleon wird beschuldigt, auf diese Art zukünftige Soldaten zu werben. Es gibt auch Stimmen, welche befürchten, durch diese Art der Kindsweglegung würde der Verfall der Sitten beschleunigt. Die Kinder werden „Kinder des Lasters“ genannt.

Trotz dieser Bemühungen, sterben 90% der abgegebenen Kinder im ersten Lebensjahr.

27 Juni 1904: Die Kinderhäuser „Tours“ werden endgültig abgeschafft und durch „Offene Orte“ ersetzt, wo Frauen während der Schwangerschaft, bzw. der Geburt geholfen wird, wenn sie ihr Kind nicht behalten können.

2000: In Deutschland, Österreich und der Schweiz werden moderne Formen der Kinderabgabestellen, sog. Baby-klappen, Baby-nester oder Baby–fenster eingerichtet.

 

Die Betreuung der Frauen

16.-Jahrhundert: Im Zentralen Krankenhaus in Paris wird eine Abteilung eingerichtet, wo Frauen anonym entbinden können

1774 : Papst Clemens organisiert die anonyme Geburt
1784 : Joseph II von Österreich ordnet die anonyme Geburt an der Geburtshilflichen Abteilung in Prag an.
28 Juni 1793 : Während der Französischen Revolution wird ein Gesetz beschlossen, nach dem der Staat bevollmächtigt wird, Frauenhäuser für die Zeit der Schwangerschaft und Geburt zu eröffnen.

1848: Der Staat bietet sog. „Offene Orte“ an, wo Frauen in Schwierigkeiten eine finanzielle Unterstützung erhalten, um ihr Kind zu behalten. Diese Kinder werden „Gerettete Kinde“ genannt.

Motiviert durch die Abnahme der Bevölkerung als Folge des Krieges von 1870, engagieren sich die Gynäkologen gegen die entwürdigende Behandlung von elternlosen Kindern, sog. Bastards. Ebenso wird die Gründung von Frauenhäusern für Schwangere gefordert, wo Frauen auch anonym entbinden können.

1886: Frauen haben das Recht, ihr Kind in den „Offenen Orten“ anonym abzugeben.

1889: Die Bestimmung über die anonyme Geburt aus der Zeit der Revolution wird neuerlich bestätigt.

19. Juni 1923: Angesichts des Bevölkerungsrückgangs und der bedrückenden Lage der Waisenkinder nach dem Krieg, wird die Möglichkeit der Adoption von Minderjährigen eingeführt.

29. Juli 1939: Der Ablauf einer Adoption wird gesetzlich geregelt und die Gerichte erhalten die Vollmacht, die Beziehung zur Ursprungsfamilie zu unterbrechen.
2. September 1941: Die anonyme Geburt wird gesetzlich geregelt.

11. Juli 1966: Das Gesetz zur Adoption wird überarbeitet.

8. Januar 1993: Die anonyme Geburt wird Bestandteil des Zivilrechts (Gesetz n°93-22).

6. Juli 1996: Folgende Ergänzungen zur Durchführung einer anonymen Geburt werden beschlossen (Gesetz n° 96-604)
– Die (anonyme) Betreuung bereits während der Schwangerschaft wird empfohlen
– Informationen, welche nicht zur Identifizierung der Mutter führen, sollen aufgehoben und  später an das Kind weitergegeben werden
– Die Frau kann die Anonymität jederzeit aufheben
– Die Bedenkzeit, in welcher die Adoption rückgängig gemacht werden kann, wird von 3 auf 2 Monate verkürzt.

13. Feber 2003: der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte befindet im Fall Odièvre vs Frankreich, Beschwerde  Nr 42326/98, dass die französische Regelung einen fairen Ausgleich zwischen den gegenläufigen Interessen erzielt habe und somit keine Verletzung von Art. 8 EMRK darstelle. Damit bestätigte also der Gerichtshof die zwischen 1993 und 2002 entstandenen Dekrete.