Urteil des Europäischen Gerichtshofes

Europäischer Gerichtshof bestätigt:
Die anonyme Geburt ist konform mit der Europäischen Menschenrechtskonvention

Der Europäische Gerichtshof hat am 13.2.2003 eine Klage gegen Frankreich abgewiesen und die Möglichkeit der anonymen Geburt als konform mit der europäischen Menschenrechtskonvention beurteilt.
Die Klägerin war 1965 in Frankreich anonym entbunden worden. Sie hat den Staat auf Bekantgabe der Idendität ihrer Mutter geklagt. Insbesondere hatte sie angeführt, die anonyme Geburt würde Artikel 8 und 14 der Europäischen Menschenrechtskonvention verletzen.
In seinem Urteil erkannte der Gerichtshof die Wichtigkeit des Wissens über die eigene Abstammung an. Allerdings müssten auch die Interessen der leiblichen Eltern und der Adoptiveltern berücksichtigt werden.
Nach Ansicht des Gerichtes ist die französiche Regelung eine, mit der Menschenrechtskonvention übereinstimmende Abwägung der z.T. widersprüchlichen Interessen der beteiligten Personen.

Die Möglichkeit der anonymen Geburt besteht in Frankreich unter wechselnden Regelungen seit langem. Seit 1993 ist das Recht anonym zu entbinden und dabei keinerlei Angaben über die Idendität zu machen, im Bürgerlichen Gesetzbuch verankert. Das Verlangen der Frau ist von dem Personal in den geburtshilflichen Abteilungen zu respektieren. Gleichzeitig muß jede Frau, die anonym entbinden möchte, über die Details der anonymen Geburt informiert werden (z.B. die zweimonatige Bedenkzeit). Auch ist sie über Alternativen, wie die verschiedenen Möglichkeiten der Adopition aufzukklären. Ferner kann sie dem Kind Informationen über sich, den Vater, bzw. die Umstände in einem verschlossenen Kouvert hinterlassen.

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Auszug aus der Presseerklärung zu dem Urteil:

The French legislation thus sought to strike a balance and to ensure sufficient proportion between the competing interests. Consequently, France had not overstepped the margin of appreciation which it had to be afforded in view of the complex and sensitive nature of the issue of access to information about one’s origins, an issue that concerned the right to know one’s personal history, the choice of the natural parents, the existing family ties and the adoptive parents. Consequently, there had been no violation of Article 8 of the Convention.

In summary, the Court considered that the applicant had suffered no discrimination with regard to her filiation, as she had parental ties with her adoptive parents and a prospective interest in their property and estate and, furthermore, could not claim that her situation with regard to her natural mother was comparable to that of children who enjoyed established parental ties with their natural mother. Consequently, the Court held that there had been no violation of Article 14 of the Convention, taken together with Article 8.

Die Presseerklärung ist zu finden unter:
http://www.echr.coe.int/eng/press/2003/feb

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Auszug aus der:
KONVENTION ZUM SCHUTZE DER MENSCHENRECHTE UND GRUNDFREIHEITEN

Artikel 8 – Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens
1 Jedermann hat Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs.
2 Der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts ist nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Massnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Artikel 14 – Verbot der Benachteiligung
Der Genuss der in der vorliegenden Konvention festgelegten Rechte und Freiheiten ist ohne Benachteiligung zu gewährleisten, die insbesondere im Geschlecht, in der Rasse, Hautfarbe, Sprache, Religion, in den politischen oder sonstigen Anschauungen, in nationaler oder sozialer Herkunft, in der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, im Vermögen, in der Geburt oder im sonstigen Status begründet ist.

Die Konvention zum Downloaden:
http://www.echr.coe.int/Convention/webConvenGER.pdf

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Auszug aus dem Gerichtsurteil:
Der vollständige Text des Urteils

„The French legislation thus seeks to strike a balance and to ensure sufficient proportion between the competing interests. The Court observes in that connection that the States must be allowed to determine the means which they consider to be best suited to achieve the aim of reconciling those interests. Overall, the Court considers that France has not overstepped the margin of appreciation which it must be afforded in view of the complex and sensitive nature of the issue of access to information about one’s origins, an issue that concerns the right to know one’s personal history, the choices of the natural parents, the existing family ties and the adoptive parents.

Consequently, there has been no violation of Article 8 of the Convention.“