Erfahrungen aus Frankreich

Verdrängte Schwangerschaft, anonyme Geburt – Zusammenfassung eines Vortrags gehalten am 20. Juni 2001 im Rahmen der Enquete Adoption, organisiert von der  Landesregierung

Dr. Catherine Bonnet
Fachärztin für Kinderpsychiatrie und Neurologie
Psychoanalytikerin
Paris
Email : bonnec7@hotmail.com

Als Psychiaterin für Kinder, war auch ich immer wieder mit der Frage von adoptierten Kindern nach ihren Eltern konfrontiert: Warum hat mich die Frau nicht behalten, nachdem sie mich in die Welt gesetzt hat? Und ich habe geantwortet: Weil sie kein Geld hatte. Ab dem Jahr 1986 kam ich durch meine berufliche Erfahrung zur Überzeugung, ich würde die adoptierten Kinder mit dieser Antwort anlügen. Schließlich konnten die Sozialarbeiter schwangeren Frauen finanzielle Unterstützung anbieten, wenn diese mittellos waren. Ich entwarf in der Folge folgende zwei Hypothesen:

Zum einen, sind es nicht wirtschaftliche oder soziale Gründe, welche Frauen dazu veranlassten, ihr Kind nach der Geburt Adoptiveltern anzuvertrauen, sondern im wesentlichen psychologische Gründe
Zum zweiten, will die Gesellschaft nicht wissen, was in diesen Frauen vorgeht, weil sie nicht akzeptiert, daß Frauen sich weigern ihr Kind nach der Geburt anzunehmen.
Deshalb habe ich beim Gesundheitsministerium um Unterstützung für eine Studie angesucht, um meine Hypothesen zu überprüfen und um die Hintergründe und Motivationen der Muttergefühle dieser Frauen zu verstehen.
Die Studie fand in den Jahren 1987-1989 statt. Ich habe die Ergebnisse im Juni 1989 vorgestellt und sie wurden im Januar 1990 als Buch mit dem Titel „Geste der Liebe“ (Geste d’amour) im Verlag Odile Jacob veröffentlicht.
Ich habe festgestellt, daß die Mehrheit der Frauen, welche anonym entbinden ihre Schwangerschaft erst im zweiten, oder sogar erst im dritten Trimenon bemerken, weil sie die Schwangerschaft verdrängen. Einige der Frauen verbergen ihre Schwangerschaft vor ihrer Umgebung. Sie befinden sich in einer großen Einsamkeit und unter großer psychischer Belastung. Sie trauen sich nicht, zu sagen, daß die Schwangerschaft ungewollt ist und sie haben große Mühe, Pläne für das Kind zu machen.
Wenn sie vor der Geburt eine Beratung aufsuchen, kann man ihnen helfen zu überlegen und selbst zu einer Entscheidung zu kommen, welche am besten für das Kind ist. Wenn sie jedoch alleine gelassen werden, besteht die große Gefahr, daß sie auch die Geburt verdrängen und in der Folge das Kind aussetzen oder bei der Geburt töten.
Die Ursachen dieser Verdrängung der Schwangerschaft sind entweder Mißhandlung in der Kindheit oder sexuelle Gewalt am Beginn der Schwangerschaft.
Es ist normal, daß adoptierte Kinder nach ihren Eltern fragen. Dabei gibt es zwei Arten von Fragen:

Das Geheimnis der Adoption: Die Eltern sollten die Kinder im Alter von 4-5 Jahren darüber informieren, daß sie adoptiert wurden.
Das Geheimnis der Herkunft: Dabei ist es wichtig den Kindern ihre Herkunft mit positiven Informationen zu vermitteln. Die Mütter haben ihnen das Leben gegeben, und wollten, daß sie von Adoptiveltern geliebt werden. Sie haben damit Geburt und Verwandtschaft getrennt. Wenn eine Frau nach der Geburt ihren Namen nicht angeben will, sollte man ihr empfehlen, zumindest einige Informationen zu hinterlassen, welche sie nicht identifizieren können, wie z.B. das Aussehen (Farbe der Augen, der Haare und Körpergröße), Alter, Beruf, Religion, Herkunftsregion oder –land, mögliche Verwandtschaft mit dem Vater, und falls möglich die gleichen Angaben über den Mann, mit welchem sie ein Kind gezeugt hat.
Ferner sollte man die medizinischen Informationen über den Verlauf der Schwangerschaft und der Geburt zusammenstellen, einschließlich möglicher vererbbarer Erkrankungen.
Hingegen sollte man negative Informationen, wie z.B. eine Vergewaltigung als Ursache der Schwangerschaft, möglichst nicht mitteilen, außer sie hätten eine medizinische Bedeutung. So habe ich beobachten können, daß sich Erwachsene im Umfeld eines Kindes, welches als Folge einer Vergewaltigung entstanden ist, diesem gegenüber auffällig verhalten, sobald sie über diesen Umstand informiert waren. Dabei haben sie ihre negativen Phantasien über die Vergewaltigung auf das Kind übertragen.

Artikel und Bücher auf Französisch:

Accouchement: Le choix du secret
Par CATHERINE BONNET
Catherine Bonnet est pédopsychiatre
et psychanalyste.
Le jeudi 17 septembre 1998
http://www.liberation.fr/quotidien/debats/septembre98/980917b.html

La pédopsychiatre qui refuse de se taire
22 Mars 2000 – PAROLES
Catherine Bonnet
http://www.humanite.presse.fr/journal/2000/2000-03/2000-03-22/2000-03-22-068.html

Livres:
geste_damourGeste d’amour (Geste der Liebe)
Catherine Bonnet
Odile Jacob; ISBN : 2738103804
Prix éditeur : 60,00 FF / EUR 9,15
Poche – 276 pages (1996) / Nouv. éd
http://www.amazon.fr

 

Les enfants du secret (Kinder mit einem Geheimnis)
enfants_secretCatherine Bonnet
Prix éditeur : 98,00 FF / EUR 14,94
Broché (1992)
Odile Jacob; ISBN : 2738101712
http://www.amazon.fr

 

L’enfant cassé, L’inceste et la pédophilie
(Das gebrochene Kind)
Catherine Bonnet
Éditions Albin Michel, 1999, (252 p., 98 F)
Le Dr Catherine Bonnet a été promue à l’ordre de la Légion d’honneur française au titre de Chevalier (pas mal pour un „Chevalier blanc“). Son dernier livre vient d’être réédité.
http://www.verite.yucom.be/LIVRES/Bonnet.htm
et
http://www.lien-social.com/livres/livres00/livre06.htm